Immer Mensch geblieben!
Achim Rodekirchen, Manager Knapsack Operations bei LyondellBasell, ist zum 29. Februar 2024 in den Ruhestand gewechselt. KNAPSACK SPIEGEL sprach mit ihm über das neue Lebensgefühl und blickt mit ihm zurück auf 36 spannende Jahre.
KNAPSACK SPIEGEL: Herr Rodekirchen, nach nunmehr zusammengerechnet 36 Jahren – 24 bei LyondellBasell in Wesseling und später in Knapsack sowie zwölf bei den Vorgängergesellschaften Rheinische Olefinwerke (ROW) und Elenac in Wesseling – sind Sie zum 29. Februar 2024 in den wohlverdienten Ruhestand gewechselt.
Rodekirchen: Nicht direkt in die Rente, sondern erst in die Freistellung. Die Chemie bietet ja ein Langzeitkonto an, das kann ich wirklich jedem jungen Menschen nur empfehlen. Wenn man früh genug anfängt, kann man auf diesem Langzeitkonto Zeit ansparen und vor der Rente in den Ruhestand gehen – in meinem Fall jetzt mit 63 zweieinhalb Jahre vorher. Ich bin also quasi weiterhin Angestellter der Basell Polyolefine GmbH und trotzdem zuhause. (lacht)
KNAPSACK SPIEGEL: Wie fühlt sich der Status denn jetzt in den ersten Wochen in Freiheit an – ist das mehr Wehmut oder totale Entspannung?
Rodekirchen: Eher totale Entspannung. Man kann sich vorstellen, dass es als Standortvertreter nicht immer einfach war mit zwei Betrieben, sowie mit vielen kleineren und auch größeren Projekten, die LyondellBasell hier vorhat und umsetzt und man daher oftmals nicht mit acht Stunden Arbeit pro Tag zurechtkommt. Und so überwiegt nunmehr ein Gefühl der Selbstbestimmung frei vom Terminkalender.
Im Moment ist das noch mehr Urlaub als alles andere. Wenn man mit Personen spricht, die bereits in Rente sind, die sagen, die ersten Wochen sind wie Urlaub und dann beginnt der Ernst
des Lebens. Und gute Freunde, die bereits in Rente sind, sagen, man muss sich dann auch wirklich sortieren und organisieren und eine gewisse Stringenz für sich selbst haben. Mal schauen, wie sich das entwickelt.
KNAPSACK SPIEGEL: Theoretisch könnten Sie also, wenn der Arbeitgeber sagt, wir hätten da jetzt noch ein spannendes Sonderprojekt, wieder einsteigen. Wäre das eine Option?
Rodekirchen: Nein. Dafür habe ich schon zu viel gemacht, sowohl Großprojekte, als auch Tätigkeiten im Ausland. Ich bin froh, jetzt wirklich zuhause zu sein. Auch wenn viele spannende Aufgaben dabei waren, so habe ich es doch genossen, die letzten Jahre im Chemiepark Knapsack an einem festen Ort gearbeitet zu haben.
KNAPSACK SPIEGEL: Sie waren jetzt viele Jahre in einer Doppelfunktion mit im Grunde zwei wichtigen Aufgabenfeldern.
Rodekirchen: Eigentlich sogar drei: Standort-Repräsentant, der die Belange der LyondellBasell im Chemiepark Knapsack begleitet, sortiert und bearbeitet. Und jeweils Operations Manager, oder zu deutsch Betriebsleiter, für die Polypropylen-Anlage und die PP Compounding-Anlage. Das heißt, ich war verantwortlich für den sicherheitsgemäßen Betrieb der Anlagen unter Beachtung von HSE-Aspekten, wie Arbeitsschutz, und der Erreichung der geplanten Produktionsmengen auf Monats- und Jahresbasis unter Beachtung einer gleichbleibenden hohen Qualität, damit die Kunden termingerecht ihre Produkte erhalten. Und das zu koordinieren, ist nicht immer ganz einfach.
KNAPSACK SPIEGEL: Aber in all den Jahren ist das offenbar gut gelungen.
Rodekirchen: Ich glaube schon. (lacht)
KNAPSACK SPIEGEL: Ihre Nachfolge wurde dann zweigleisig geregelt, mit Martin Llorens-Rilk, der schon im September 2023 den Betriebsleiterposten für die PP Compounding-Anlage übernommen hat und mit Dr. Klaus Mattes, der zum 1. Januar 2024 sowohl Betriebsleiter für die Polypropylen-Anlage als auch Standortvertreter geworden ist. Konnten Sie ein bestelltes Feld hinterlassen?
Rodekirchen: Im Grunde schon, wenngleich es in solchen Situationen nie ausreichend Einarbeitungszeit gibt. Was man aber auch nicht vergessen darf, LyondellBasell in Knapsack ist ein eingespieltes, Verantwortung übernehmendes Team, welches seine Aufgaben kennt. Im Laufe der vergangenen acht Jahren haben wir hier viel Vorarbeit geleistet und zirka 40 Prozent des Personals überwiegend altersbedingt ersetzt. Das entsprechende und auch menschlich passende Fachpersonal zu finden, einzuarbeiten, zu halten und den Weg gemeinsam zu beschreiten auch über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum, war eine große Herausforderung und ist uns ebenfalls gut gelungen.
KNAPSACK SPIEGEL: Gerade die menschliche Seite ist oftmals die noch größere Herausforderung.
Rodekirchen: Ohne Zweifel, man muss auch eine persönliche Beziehung zu den Menschen haben und sie verstehen. Ich kenne fast jeden mit Namen und nahezu von jedem eine Anekdote beziehungsweise die persönlichen oder die Familienverhältnisse. Und das gehört mit zu Leitungsaufgaben dazu, um als funktionierendes und harmonierendes Team die notwendige Effektivität und Schlagkraft zu entwickeln.
KNAPSACK SPIEGEL: Wenn Sie zurückblicken, was waren Ihre Highlights oder Milestones in Knapsack?
Rodekirchen: Ein besonderes Highlight war es, dass wir 2019 die fünfte PP Compounding-Linie in Betrieb genommen haben, die wir über zwei Jahre geplant und gebaut haben – parallel zu einem laufenden Betrieb. Das war schon eine Herausforderung mit einer kleinen, aber stabilen und voll dahinterstehenden Mannschaft. Das war vielleicht die größte Herausforderung meiner Zeit hier in Knapsack auch vor dem Hintergrund des personellen Umbaus. Denn in meiner Leitungsfunktion musste ich natürlich auch immer wieder teilweise schwierige Entscheidungen treffen und natürlich ein offenes Ohr haben und Probleme lösen.
KNAPSACK SPIEGEL: Hinzu kommt in so einer Phase auch der Marktdruck.
Rodekirchen: Richtig! Der Markt fordert immer wieder neue Kunststoffe für neue Anwendungen. Egal, ob beispielsweise für den Hausbau, industrielle Rohrleitungen Elektrowaren oder die Automobilindustrie. Man muss sich permanent den Kunden und den Marktbedingungen anpassen, sonst hat man in kürzester Zeit keine Marktanteile mehr. Und das, denke ich, haben wir bis heute gut geschafft. Gerade im PP-Bereich sind diese beiden strategischen Anlagen langfristig innerhalb der LyondellBasell Familie gut und sicher positioniert.
Ein neues Produkt einzuführen braucht beispielsweise eine erhebliche Vorlaufzeit – mitunter sind das mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre. Im Vorfeld müssen gewisse Maßnahmen und Sicherheitsüberprüfungen stattfinden. Der Kunde muss den Kunststoff selbst testen. Und solche Tests dauern Monate bevor ein Kunststoff für das Armaturenbrett, für die Stoßstange, für den Tank oder wo auch immer zum Einsatz kommt.
KNAPSACK SPIEGEL: Lassen Sie uns nach diesem kleinen Markt-Exkurs noch auf weitere Milestones blicken.
Rodekirchen: Wenn ich außerhalb von Knapsack schaue, auf meine Zeit als sogenannter Planungsingenieur bei den Rheinischen Olefinwerken in Wesseling – dort hatte ich damals fundierte Erfahrungen mit sogenannten LDPE-Anlagen (Anm. d. Red.: Low-Density-Polyethylen). Aufgrund dieser Expertise habe ich zum Beispiel ein Projekt im arabischen Raum begleitet. Wir haben zwar die Anlage nicht gebaut, aber die ganzen Verhandlungen dort zu führen, das war natürlich für jemanden, der bis dahin nie international tätig war, eine große Herausforderung. Ebenfalls anspruchsvoll war dann später auch das von Deutschland und Niederlanden aus gesteuerte Projekt einer LDPE-Anlage in China – Lieferzeit 18 Monate und alle technischen Vorgaben nur in Mandarin, wovon ich kein einziges Wort lesen konnte. Und nicht zuletzt drei Jahre als Projektingenieur für und in Südfrankreich, wo wir die damals größte LDPE-Anlage der Welt gebaut haben. Kein Wort Französisch sprechend, mit einer multikulturellen Projektgruppe aus Franzosen, Niederländern und Deutschen. Das alles hat schon fürs Leben geprägt.
KNAPSACK SPIEGEL: Da stößt man manchmal auch an seine Grenzen?
Rodekirchen: Auf jeden Fall. Sie stoßen an Ihre eigenen Grenzen. Es gibt auch viele schlaflose Nächte. Wichtig ist hierbei: Man muss immer versuchen Mensch zu bleiben. Das heißt, man muss sich selbst auch schützen. Was mir immer geholfen hat, aber heute leider körperlich nicht mehr möglich ist: Ich bin immer sehr viel gelaufen. Wenn man den Kopf freibekommt, kommen einem wieder neue Ideen.
KNAPSACK SPIEGEL: Also so richtig Marathon-mäßig?
Rodekirchen: Ja. Das mache ich aber schon lange nicht mehr, weil die Achillessehne das nicht mehr mitmacht – deswegen jetzt nur noch Fahrradfahren.
KNAPSACK SPIEGEL: So erklärt sich vielleicht auch die lange Zeit bei LyondellBasell und dieses Durchhaltevermögen bei solchen Projekten. Der Marathon-Gedanke spiegelt sich auch dort ein Stück weit wider?
Rodekirchen: Absolut, mich haben auch immer neue Herausforderungen gereizt. Ich bin in den knapp vierzig Jahren häufiger intern gewechselt, um etwas Neues zu machen und mich weiterzuentwickeln. Und das kann ich wirklich nur jedem empfehlen – man wächst an seinen Aufgaben und lernt Neues kennen. Nicht nur die Technik, sondern auch viele Menschen.
KNAPSACK SPIEGEL: Was werden Sie aus Ihrer beruflichen Zeit, speziell in Knapsack, vermissen – und was ganz sicher nicht?
Rodekirchen: Also was ich, nach jetzt rund acht Wochen, bereits vermisse, das sind wirklich die Kolleginnen und Kollegen. Wir haben uns regelmäßig ausgetauscht. Man hat gemeinsam gearbeitet und gemeinsam gelacht und sich auch mal über private Dinge ausgetauscht.
Was ich ganz sicher nicht vermissen werde, ist der Termindruck, den habe ich nun nicht mehr. Das Leben ist ein bisschen ruhiger geworden. Andererseits bindet mich die Familie schon verstärkt ein. So bin ich zum Beispiel nach meinem Ausscheiden am 19. Januar sofort in den Urlaub gefahren und bis Anfang März geblieben. Und die nächsten Trips sind schon längst geplant. Meine Frau und ich sind immer gern gereist und haben auch einen großen Teil der Welt gesehen. Das wird, wenn alles gut geht, noch intensiver werden.
KNAPSACK SPIEGEL: Damit beantwortet sich gleich, was Sie mit der vielen Freizeit jetzt anfangen werden. Und welche Hobbys oder anderen Laster kommen nun zusätzlich zum Tragen?
Rodekirchen: Das größte Hobby ist wirklich das Reisen. Und wir gehören zu den ‚Wohnmobilisten‘. Nicht wegen Corona, sondern auch schon vorher. Wir werden also noch intensiver mit dem Wohnmobil in Europa unterwegs sein. Wir waren jetzt fünfeinhalb Wochen in Südspanien, Andalusien, unterwegs. Und dann geht’s jetzt auch schon bald weiter. Das nächste Ziel wird das Tal der Loire sein und dann wird es nach Schweden gehen – im Frühherbst dann vielleicht die Bretagne.
KNAPSACK SPIEGEL: Schließlich brauchen Sie jetzt auf nichts und niemanden mehr Rücksicht zu nehmen.
Rodekirchen: Das stimmt natürlich nicht ganz. Wir nehmen schon auf die Familie Rücksicht. Und unsere Familie ist nicht gerade klein. Wenn man fünfeinhalb Wochen unterwegs ist, dann vermisst man schon die Familie. Es ist schön, die nächste Generation, derzeit von zwei bis 15 Jahre alt, aufwachsen zu sehen. Aber wir können dann nach weiteren vier, fünf Wochen auch sagen, wir fahren wieder los. (lacht) Also das ist eine Freiheit, die wir uns wirklich nehmen können – und das werden wir auch tun.
KNAPSACK SPIEGEL: Zum Schluss hoffe ich doch, dass Sie aus Ihrer langen beruflichen Zeit noch eine Anekdote parat haben.
Rodekirchen: Das ist wirklich schwer zu beantworten, vielleicht mehr etwas für einen Kaminabend. Was mich wirklich geprägt hat, ist Südfrankreich. Ich bin seither ein leidenschaftlicher Espressotrinker geworden. Denn mit einem guten Espresso und einem guten Gespräch lassen sich viele Probleme lösen. In Südfrankreich war das besonders schön, denn ob der Geschäftsführer, Schlosser oder Elektriker – alle haben nach dem Essen in der Kaffeebar als Mensch noch gemeinsam Espresso getrunken. Das Schöne ist, das ist meine Erfahrung: ich habe das doppelt und dreifach von der jeweiligen Person wieder zurückbekommen. Manchmal hilft einfach nur zuhören und dem Gegenüber die Zeit zu geben, sich sein Problem von der Seele zu reden.
KNAPSACK SPIEGEL: Das festigt auch die informellen Beziehungen in einem Team und schweißt ein Team zusammen.
Rodekirchen: Das stimmt! Wichtig ist es, wie schon erwähnt, immer Mensch zu bleiben. Und sich selbst im Spiegel – sowohl morgens, als auch abends – anschauen und sagen zu können: „Ich glaube, Du hast den richtigen Weg für Dich persönlich beschritten.“
KNAPSACK SPIEGEL: Das perfekte Schlusswort, Herr Rodekirchen. Herzlichen Dank! Und natürlich nochmal herzlichen Dank für Ihre Flexibilität ganz besonders am heutigen Tag, Ihrem Geburtstag. Ich hoffe, Sie haben jetzt noch eine richtig schöne Zeit und lassen sich feiern.
Rodekirchen: Vielen Dank – gerne! Ich habe schon den nächsten Termin, die Kollegen warten auf mich hier im Betrieb mit dem Mittagessen.